Alle Würzburger Stadtteile haben einen einzigartigen Charakter. Die Bewohnerinnen und Bewohner prägen maßgeblich ihr Stadtteil und umgekehrt. Da wäre beispielsweise Heidingsfeld mit seiner stolzen Geschichte als ehemalige Stadt oder das Frauenland in seinen vielen Einfamilienhäusern samt Vorgärten. Aus diesem Grund machen wir es uns zur Aufgabe, in unserer Serie „Stadtteiltypen“ typische Charaktere der Würzburger Viertel zu kreieren und zu beschreiben, was sie an ihrer Umgebung so mögen. Hier mit der Zellerau.
Die beiden Zellerau-Bewohner Tina und Werner trennen 300 Meter, doch in ihrem Lebensstil trennen sie Welten voneinander. Dass sie sich durch den besten Freund des Menschen dennoch immer wieder über den Weg laufen, zeigt, wie die Zellerau als mittlerweile hippes Stadtviertel funktioniert.
Tina lebt von Klimasorgen und Denckler-Spirit
Politikwissenschaft und die Soziologie, kurz PSS, brachten Tina nach Mainfranken, genauer gesagt an den Wittel. Nach einer halbjährigen Phase in der Innenstadt packte sie bereits ihre – wirklich nicht mehr als – sieben Sachen und zog in eine WG, nur wenige Meter vom ehrwürdigen Denckler-Block, dem alternativen Herzen der Zellerau, ein. Im Denckler wohnen zwei ihrer besten Freunde, ein Zimmer dort zu ergattern war aber nicht möglich. Deshalb hängt Tina jetzt oft in den Altbau-Wohnungen des früheren Sozial- und Arbeiterbaus herum, studiert antikapitalistische Lebensalternativen, googelt regelmäßig den aktuellen Stand ihrer eigenen Klimabilanz und lauscht den Innenhof-Konzerten bei selbstgebrühtem Mate-Tee, nachdem es zur Feier des Tages bei Frida einen veganen Falafel-Wrap gab. Immerhin ist das bei der Fahrradbörse geschossene Rad jetzt schon fast 1000 Kilometer mit Tina zur Uni und zurück gefahren. Ein bisschen Komfort ist trotzdem erlaubt. So feiert die 22-Jährige ihr hübsches kleines WG-Zimmer außerhalb des Dencklers in zweimaliger Umfallen-Nähe, weil ihre nepalesischen Fähnchen hier zumindest nicht im zugigen Wind der teils noch alten, schlecht isolierten Fenster des Kult-Wohnblocks in der Frankfurter Straße hängen.

Im legendären Denckler-Block ist die alternative Szene der Zellerau zu Hause. Ein Stück Berliner Kiez mitten in Würzburg. Foto: Thomas Obermeier
Werner hat in den 80ern seinen Architektenblock endlich realisiert
Zwei Querstraßen weiter oben, grob in Richtung Zeller Waldspitze, thront Werner über den (meisten) Dächern Würzburgs. Ein wenig in die Jahre gekommen ist er bereits, der Traum von 200 Quadratmetern Architekturvilla, den er mit seiner Frau Margarete bewohnt. Ähnlich wie Werner, der es beruflich zwar immer noch nicht ganz lassen kann und immer noch Zeichnungen für kleinere Bauprojekte erstellt. Eigentlich ist er schon länger im Alter der rüstigen Rentner und kostet seine gewonnene Freizeit aus, beispielsweise einmal die Woche beim Boule-Spielen, unten bei der Feuerwehrschule. Seit vierzig Jahren wohnen sie schon hier im Haus, in dem sie zwei Kinder großzogen, die jetzt irgendwo mit ihren neuen Familien verstreut ein eigenes neues Leben gestartet haben. Und die hin und wieder mal anklopfen, gerade dann, wenn im Eigenheim was zu Bruch gegangen ist und der Papa ein bisschen aushilft. Macht er gerne, schließlich sieht man sich immer zu Weihnachten wieder, dann ist unter dem Baum alles voll und Werner auch – liegt wohl an dem guten Rotwein, den es an Heiligabend gibt, der im Gegensatz zum damals gebauten Haus und dem Mercedes-SUV in der Garage aber nicht zu teuer sein darf. Bei 15 Euro für eine Flasche Wein hört der Spaß auf, das war schließlich früher mal alles für die Hälfte des Geldes – also keine 15 Mark – zu haben. Für den Kleinen, “Fritzi” heißt er – ein reinrassiger etwas älterer Silky Terrier – darf das Weihnachts-Menü hingegen schon ein bisschen mehr kosten. So bekommt auch der Kläffi was vom Weihnachtsbraten ab.

Im oberen Burgweg leben die betuchteren Bewohnerinnen und Bewohner der Zellerau. Foto: Fabian Gebert
Auf einen kurzen Schnack mit Plakatier-Börnie, dann ab zum Nebel-Main
Gebell herrscht manchmal auch in der links-liberalen WG von Tina. Gerade dann, wenn ihr Australian Cattle Dog “Struppel” am Morgen vor die Tür muss. Dann zieht sie an kühlen Tagen ihre Wollmütze aus der Bodenstation auf und quatscht kurz mit Plakatier-Börnie, den sie beim Vorbeilaufen mit Struppel am Denckler auf seinem Weg zur Arbeit trifft. Was wäre ein Morgen ohne einen Abstecher zum noch mit Nebel bedeckten Main. Da kann ihr Hund nicht nur den Humus aus dem Hintern quetschen, sondern auch wild auf den Mainwiesen toben.
5 Sätze, die Bewohner aus der Zellerau nicht mehr hören können
Senile Bettflucht weckt Werner – oder war es Fritzi?
Zur frühen Uhrzeit, die senile Bettflucht ermöglicht es, hat Werner bereits gegen 5:30 Uhr seine warmen Hauspuschen angezogen und startet mit einem Kaffee und der Main-Post in den Tag. Sein Fritzi ist auch fröhlich dabei und auch er verlangt gegen Vormittag nach Auslauf. Vorbei an seinem Boule-Spielfeld geht es für Werner ebenfalls auf die Mainwiesen, wo sich sein bester kleiner Freund mit einem etwas größeren Cattle Dog anfreundet. Die beiden beschnuppern sich, als hätte jeder an seinem Oberschenkel eine Dosis Armani Code aufgelegt.

Der Bücherwal „Schorsch“ erinnert daran, dass der Stadtteil Zellerau aus der Vogelperspektive die Form eines Wals hat. Foto: Carolin Stöcker
Friedliche Koexistenz zwischen Hausbesitzern in Hanglage und jungen Zukunftsidealisten und Antikapitalisten
Der SUV-Fahrer unterhält sich kurz mit der Besitzerin des Cattle Dogs, einer “aufgeweckten jungen Dame”, wie Werner es später seiner Margarete erzählen wird. Um die Painpoints Klima, Kapitalismus oder SUVs (Straßenpanzer für Aufmerksamkeitsdefizitäre, würde Tina sie nennen) geht es am Morgen aber nicht, sondern nur darum, wie so ein Hund einen aktiv, gesund und glücklich hält. In diesem Spannungsbogen hält sich die Zellerau wacker, zwischen Villenbesitzern und Umweltidealisten, die diesen immer beliebter werdenden Stadtteil in mindestens zwei gefühlte Lager aufteilt, die im Alltag allerdings ganz herrlich miteinander koexistieren können.