Alle Würzburger Stadtteile haben einen einzigartigen Charakter. Die Bewohnerinnen und Bewohner prägen maßgeblich ihren Stadtteil und umgekehrt. Da wäre beispielsweise Heidingsfeld mit seiner stolzen Geschichte als ehemalige Stadt oder das Frauenland mit seinen vielen Einfamilienhäusern samt Vorgärten. Aus diesem Grund machen wir es uns zur Aufgabe, in unserer neuen Serie „Stadtteiltypen“ typische Charaktere der verschiedenen Stadtteile in Würzburg zu kreieren und zu beschreiben, was sie an ihrer Umgebung so mögen. Los geht’s mit der Sanderau, in der junge und alte Erwachsene erstaunlich gut zusammen- beziehungsweise nebeneinander leben.
Sie sind auf den ersten Blick völlig unterschiedlich. Dennoch leben sie im selben Haus und kommen dabei sehr gut miteinander aus: Flo, 25 Jahre alt und Gisela, 82 Jahre alt. Wie und wo ist das möglich? In der Sanderau. Wie, wird wie folgt erklärt:
Flo wollte für’s Studium unbedingt in die Sanderau
Flo kommt ursprünglich aus irgendeinem Zuckerrübenkaff bei Ochsenfurt, weshalb er Würzburg schon vor seinem Studium gut kannte. Deshalb stand für ihn bereits fest, in welchem Viertel er unbedingt leben wollte. Mit ein paar Kontakten, einer ausgiebigen Wohnungssuche und seinem locker-lässigen Auftreten hat er es bereits im ersten Semester geschafft: Seit sechs Jahren wohnt er nun schon in einem Zimmer in einer Dreier-WG mit direkter Straßenbahnverbindung und nur 500 Meter vom Main entfernt, mitten in der good old Sanderau. Das Haus ist voller anderer Studenten, also so richtig chilliger Studenten, nicht solche Medizinerstreber oder streng katholischen Jura-Faschos. Und dann wohnt noch ein Rentnerpärchen im ersten Stock, dass sich aber schon früh ebenfalls als erstaunlich cool entpuppte.
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Die Sanderau bot sich im Alter perfekt für Gisela an
Gisela ist eine echte Würzburgerin. Als Kind spielte sie in den Ruinen der zerbombten Stadt und erlebte in all den Jahren, wie die Stadt im Gleichschritt mit dem Wohlstand ihrer Bewohner immer weiter anwuchs. Als sie ein gewisses Alter erreichten, wurde es Gisela und ihrem Mann Günther dann doch zu hektisch und zu ungemütlich in der Inneren Pleich. Da bot sich die Sanderau für sie perfekt an: Alles ist schön flach, die Mainpromenade und der Ringpark laden zu ausgiebigen Spaziergängen ein – das beste Fitnessprogramm im hohen Alter – und alle wichtigen Geschäfte sind in unmittelbarer Reichweite (zwei Bäckereien, eine Metzgerei, ein Kupsch und – ganz wichtig – eine Apotheke). Wenn sie doch mal in die Stadt ins Sanitätshaus oder zum Hörgeräteakustiker muss, kommt die Rentnerin ganz bequem und schnell mit der Straba rein.

Die Mainwiesen der Sanderau sind für viele der schönste Ort im Sommer in Würzburg. Foto: Thomas Obermeier.
Perfekte Lage – Alle wichtigen Hotspots sind superschnell erreichbar
Flo schätzt an der Lage einerseits die unmittelbare Nähe zum – seiner Meinung nach – besten Döner der Stadt und dass alle wichtigen Hotspots der Stadt superschnell mit dem Fahrrad oder meist sogar zu Fuß erreichbar sind. Die Mainwiesen zum Beispiel, auf denen er mit seinen Freunden den halben Sommer verbringt. Oder der Sanderrasen, auf dem er einmal in der Woche kickt und auch gerne mal Volleyball spielt. Aber auch der Haupt- und Südbahnhof, wenn er mal Heimweh bekommt oder etwas in seinem Dorf ansteht. Und nicht zu vergessen: Die Sanderstraße, die heilige Kneipenmeile Würzburgs, in der der Partyboy schon so einige unvergessliche Nächte verbracht hat und anschließend gemütlich nach Hause gestolpert ist. Oder er hat nachts einfach eine Straba genommen, wenn es mal richtig grob war oder er schon echt müde war. Ja, Flo genießt sein Leben in der Sanderau in vollen Zügen.
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In der Uni ist Flo nur selten – der Abschluss hat Zeit
Was nicht in seiner Nähe ist, ist die Uni. Doch der Lehramtsstudent in Englisch und Geschichte lässt sich sowieso nicht oft am Hubland und am Wittel blicken. Sein Motto: Ein gutes Pferd hüpft auch nur so hoch, wie es muss. Und so ist der 25-Jährige ein Meister darin geworden, durch eine geschickte Kosten-Nutzen-Analyse mit nur sehr wenig Aufwand meist gute Noten zu bekommen. Außerdem lässt er sich bewusst Zeit mit seinem Studium, da er das Studentenleben in der Sanderau mit seinen vielen sympathischen Freunden und Saufkumpanen aus seinem Viertel einfach liebt. Im Gegenzug, dass hier viele Gleichgesinnte leben, sind hier zwei Dinge selten, die Flo (derzeit) gar nicht mag: Autos und Kinder. Gegen die vielen Rentner hier hat Flo dagegen nichts – außer, im Bächer braucht ein Opa vor ihm mal wieder fünf Minuten, um sein Kleingeld herauszukramen. Verkraftbar. Dafür sind die alten Leute der Sanderau ungewöhnlich lässig und tolerant. So wie G&G (So nennt er Gisela und Günther in deren Abwesenheit liebevoll) neben ihm.
Die Studenten erinnern Gisela an ihre wilde Rock ‘n‘ Roll Zeit
Schon gleich zu Beginn ihres Umzugs vor 20 Jahren hat sich Gisela in ihrem neuen Viertel wohlgefühlt. Die vielen lustigen jungen Leute hier beleben die Sanderau und sind viel geduldiger als etwa gestresste Eltern und deutlich freundlicher als freche Teenagergören. Und sie erinnert die (früher) leidenschaftliche Tänzerin immer an die schöne Zeit, als sie noch ein junges Fräulein war. Damals ging es einmal im Monat auf Tanz, zum Beispiel ins Café Ludwig, wo sie ihren lieben Günther kennengelernt hat. Weil sie Rock ‘n‘ Roll getanzt hat, hat sie sich damals viel von ihren strengen, konservativen Eltern anhören müssen, die die fremdartige Musikrichtung für Teufelszeug hielt. Und so hat sie volles Verständnis für die Studenten, wenn sie gegen etwas aufbegehren oder wenn sie einfach nur Spaß haben wollen.

In der Sanderau in Würzburg gibt es viele Seniorenwohnheime, wie etwa das altehrwürdige Ehehaltenhaus. Foto: Silvia Gralla.
Im Altersheim wird Gisela nur noch viel schneller alt
Heutzutage geht Gisela jeden Mittwoch ins Café, ohne dort zu tanzen, sondern zum Frühstücken. Mit einer Gruppe von alten Freundinnen, die ebenfalls in der Sanderau wohnen – die meisten von ihnen in einem Seniorenstift. Doch damit könnte sich Gisela nicht anfreunden. Im Krankenhaus wird man schließlich nur schlecht gesund, weil man von Kranken und Krankheit umgeben ist. Und genauso läuft es in einem Altersheim: Man wird viel zu schnell alt. Außerdem kommen Günther und sie in ihrer Mietswohnung bislang bestens klar. Zwar wäre eine Erdgeschosswohnung für sie deutlich praktischer, weil sie unter anderem nicht mehr so schwer heben können. Aber einen Umzug möchte sich die 82-Jährige in ihrem Alter nicht mehr antun. Wenn es doch mal was Schweres zu tragen gibt, bekommt sie meist Hilfe von den lieben jungen Nachbarn, vor allem vom netten Florian von nebenan, der ihr oft von ganz allein anbietet, ihr etwas in den ersten Stock zu tragen.
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Flo genießt Giselas Kuchen und ihre Geschichten von früher
Im Gegenzug bekommt Flo von seiner deutlich älteren Nachbarin immer mal wieder einen leckeren selbstgebackenen Kuchen mit Kaffee. Bei der Gelegenheit erzählt ihm Gisela von den wilden Rock ‘n‘ Roll Partys in den 50ern und wie sich Würzburg im Laufe der Jahrzehnte verändert hat. Die Geschichten, die andere Leute wohl langweilen würden, fesseln den Geschichtsstudenten immer wieder und die Rentnerin ist gleichzeitig froh, einen ehrlich interessierten Gesprächspartner zu haben. Derzeit nimmt sich Flo ernsthaft vor, mit seinem Dozenten zu klären, ob er für seine Zulassungsarbeit ein Zeitzeugengespräch einbauen darf.
Das Geheimnis des guten Miteinanders in der Sanderau: Leben und leben lassen
Gisela ist über die Gesellschaft mit ihrem Nachbarn und über dessen Hilfsbereitschaft derart glücklich, dass sie bereit ist, ihm so gut wie alles zu verzeihen. Seine regelmäßigen WG-Partys zum Beispiel, die oft sehr ausarten. Die Schwerhörige bekommt davon aber normalerweise sowieso nichts mit, wenn sie um 21:30 Uhr erst einmal ihre Hörgeräte herausgenommen hat und ins Bett geht. Am nächsten Tag freut sie sich, vom lieben Florian zu hören, dass er eine tolle Feier hatte. „Und gehst du auch bald mal wieder auf Tanz?“, fragt sie dann ihren jungen Nachbarn bei einem Stück selbst gemachter Schwarzwälder Kirschtorte. „Ja, heute Abend wahrscheinlich“, antwortet Flo darauf. „Aber erst mal will ich später noch ne Runde im Main schwimmen und vorglühen.“ „Leben und leben lassen“ ist das Geheimnis des guten Miteinanders von Studenten und Senioren in der Sanderau.