Über Greta Niewiadomski gibt es so einiges zu erzählen. Die gebürtige Bremerin lebt seit Herbst 2020 im schönen Würzburg und hat mit ihren 20 Jahren schon vieles erlebt. Seien es Radtouren von Bremen bis nach Freiburg, bei denen sie ausschließlich in der freien Natur übernachtete, Couchsurfing durch Island oder der Umgang mit einer „Cyborg“-Hand.
Richtig gelesen: „Cyborg“-Hand. Besser gesagt eine Prothese, die Greta seit zwei Jahren je nach Bedarf trägt. Denn Greta kam ohne rechte Hand zur Welt. Warum weiß man nicht genau, eine große Rolle hat es für sie und ihre Eltern allerdings nie gespielt. Alles was ihr großer Bruder machte, machte auch Greta. Extras oder Förderungen gab es nicht. Auch wenn es in der Kindheit nicht immer leicht war, anderen ihre Situation zu erklären, hat sie sich nie als eingeschränkt oder behindert wahrgenommen.
Im Interview sprechen wir mit Greta über ihre Kindheit, die Reiselust, ihre neues Gadget und das Studium. Aber auch, warum sie Instagram für eine so wichtige Plattform hält.
„Die Flucht nach vorne wagen“
Würzburg Erleben (WE): Hallo Greta, stell Dich unseren Lesern doch selbst einmal kurz vor: Wer bist Du und woher kommst Du?
Greta: Hallo ihr Lieben, ich bin Greta Niewiadomski, komme aus Bremen und studiere Psychologie in Würzburg. In meiner Freizeit spiele ich Fußball, verbringe Zeit mit Freunden und reise, wann immer es geht. Außerdem habe ich vor einigen Jahren mein Interesse für Kunst und Fotografie entdeckt.
WE: Wie erging es Dir damit in Deiner Kindheit und Jugend? Musstest Du Dich anderen Menschen gegenüber oft erklären oder bist auf Unverständnis gestoßen?
Greta: Also v.a. Kinder sind da ja sehr direkt und können erschrockene oder interessierte Blicke daher selten verbergen. Das war für mich im Prinzip eine lange Phase der Übung, den besten Umgang damit auszutüfteln und mir selbst zu überlegen, wie es für mich am besten passt. Da ich immer gerne unter Leuten war und viel Sport gemacht habe, kam es für mich nicht in Frage, meine Besonderheit zu verstecken. Stattdessen habe ich immer eher die Flucht nach vorne gewagt. Und sobald ich anderen meine Situation erklärt habe, kam viel Verständnis auf. Sodass meine Besonderheit mit der Zeit immer weniger ins Gewicht fiel.
WE: Hattest Du das Gefühl, Dich mehr beweisen zu müssen als jemand mit zwei Händen? Einfach nur, weil es nicht der „Norm“ entspricht?
Greta: Da erwähne ich immer wieder gerne die Story mit dem Schuhe binden. Wir haben das im Kindergarten gelernt und ich habe es erst nicht hinbekommen. Damit niemand sagen konnte, es würde an der Hand liegen, hab ich es den ganzen Abend und die halbe Nacht geübt, immer wieder, bis ich es konnte. Und am nächsten Tag konnte es niemand – nur ich! Sicherlich hatte ich manchmal das Gefühl, dass ich mich mehr anstrengen müsste. Ich wollte auch nie Mitleid, oder Rücksicht, weil ich mich selbst nie als eingeschränkt wahrgenommen hab. Heute bin ich eigentlich froh darüber, denn das hat ja meinen Ehrgeiz gesteigert und mich oft zusätzlich motiviert.

Greta als Kind beim Dreirad fahren. Foto: Greta Niewiadomski
WE: Kam in Deiner Jugend oder Kindheit je der Gedanke an eine Prothese auf?
Greta: Tatsächlich habe ich das persönlich anfangs nicht mit mir in Verbindung gebracht. Ich denke, es ist für Außenstehende schwer vorstellbar, aber da ich ohne rechte Hand geboren wurde, ist das für mich die Norm. Ich habe mich genauso daran gewöhnt, wie die meisten anderen an zwei Hände. Und so, wie viele Menschen der Gedanke beunruhigen würde, irgendwann mal eine Hand zu verlieren, hätte mich eher die Idee verunsichert, plötzlich eine Hand mehr zu haben.
Vielleicht ist das für mich so abwegig, wie für Dich die Vorstellung drei Hände zu haben. Du wüsstest wahrscheinlich nicht, wie Du die koordinieren solltest. Oder wofür Du sie benötigst. Und meine Eltern haben sich früher bewusst gegen eine Prothese entschieden, weil sie mir vorerst ermöglichen wollten, ein natürliches Körpergefühl zu entwickeln und nicht auf ein externes technisches Hilfsmittel angewiesen zu sein. Erst mit 17 Jahren kam ich dann selbst auf den Gedanken, eine Prothese einfach mal auszuprobieren.
Abenteuerlustige Reisen und Instagram
WE: Nach der Schulzeit ging es für Dich erstmal auf Reisen: Island, Radtouren bis nach Prag, trampen durch Südeuropa oder Paragliden in den Alpen. Was waren für Dich die drei prägendsten Erlebnisse auf diesen Reisen?
Island
Greta: Es ist total schwer, mich da auf drei Ereignisse festzulegen, weil die Zeit des Reisens mich insgesamt sehr bereichert hat. In Island bin ich das erste Mal allein gereist, obwohl ich voll der Gruppenmensch bin und das war sicherlich wichtig für mein Selbstvertrauen. Dort bin ich einmal um die Insel getrampt und hab gelernt, dass man ziemlich viel zurückbekommen kann, wenn man offen auf Menschen zugeht. Mein liebstes Ereignis dort war ein Schneesturm, den ich zusammen mit drei Italienern erlebt habe, die mich dann in deren Airbnb Wohnung übernachten ließen, weil das Hostel, was auf der Karte angezeigt wurde, gar nicht mehr existierte. Und die habe ich dann letztes Jahr in Italien besucht.
Alpen
Greta: Mit dem Paragliding in den Alpen war das auch so eine Sache. Wir haben via Couchsurfing bei einem Host übernachtet, der hobbymäßig regelmäßig paragliden geht und sogar einen Tandemschein hat. Das hat sich so ergeben, ich hatte das nicht geplant und das hat wieder gezeigt, wie sehr es sich lohnt (nicht nur finanziell) bei fremden Menschen zu Hause zu übernachten. Man muss sich viel mehr auf neue Situationen einstellen, als beispielsweise bei einem Hotelurlaub, aber aus meiner bisherigen Erfahrung war es das immer wert. Und dann hat er uns kurzerhand mitgenommen und ist mit uns über den Königssee geflogen.
Italien
Greta: Und mein drittes sehr prägendes Erlebnis war auf der Reise durch Italien mit meiner besten Freundin. Dort standen wir ewig an einer Autobahnraststätte und haben schon fast die Hoffnung aufgegeben, als ein Beamter auf uns zukam. Wir dachten, dass er uns beschimpfen würde, weil trampen dort nicht erlaubt ist. Stattdessen hat er uns mit einem Lächeln zwei Flaschen Apfelsaft überreicht und uns einen schönen Tag gewünscht. Es sind diese Kleinigkeiten, die ich so am Reisen liebe, mit denen man einfach nicht rechnet. Und ich denke, dass Europa und sogar Deutschland schon so viel zu bieten haben, dass es mich erstmal gar nicht so weit weggezogen hat. Andere Kontinente will ich dann hoffentlich nach Corona auch mal bereisen. Und insgesamt ist mir natürlich auch bewusst, dass ich bislang sehr viel Glück hatte und mir die negativen Reiseerfahrungen erspart blieben.

Greta auf Reisen. Foto: Luise Burchards
WE: Auf Instagram teilst Du Bilder und Videos von Deinen Abenteuern und hast auch eine durchaus beträchtliche Anzahl an Followern, knapp 4000. Ist Social Media ein reines Hobby?
Greta: Es hat mich sehr berührt, wie viele Menschen ich auf Instagram erreichen kann. Und überhaupt, wie divers die Plattform ist. Als Kind dachte ich lange, ich wäre der einzige Mensch der Welt, dem eine Hand fehlt und vielleicht hätte es mir gutgetan, schon früher zu sehen, dass ich damit nicht allein bin und wie cool andere damit umgehen.
Das versuche ich jetzt in gewisser Weise nachzuholen und vernetze mich immer mehr mit anderen Betroffenen, und auch mit Menschen ohne Behinderung, die interessiert sind und Fragen haben. Also sehe ich es immer weniger als Hobby, sondern mehr als Berufung, aber da ich ja kein Geld damit verdiene, ist es rein freizeitlich und für mich persönlich sehr bereichernd. Ich finds toll, immer mehr Menschen ein positiveres oder zumindest vielschichtigeres Bild von vermeintlicher „Behinderung“ zu vermitteln.
Prothese als nützliches Gadget
WE: Auf Deinen letzten Instagram-Bildern sieht man Dich häufiger mit einer schwarzen Prothese. Früher kam eine „Ersatzhand“ nicht in Frage. Was hat sich daran geändert?
Greta: Lange dachte ich, dass ich mir eine derartige Prothese gar nicht leisten könnte. Aber tatsächlich übernimmt das die Krankenkasse vollständig. Hautfarben kam sie sowieso nicht in Frage, weil ich mich ja nicht verstecken wollte. Die Prothese bietet mir gesellschaftlich eine gute Möglichkeit, offen zu meiner Andersartigkeit zu stehen und dem ganzen gleichzeitig einen futuristischen Touch zu geben. Viele verbinden solche „Cyborg“-Hände ja mit Science-Fiction Filmen, wie StarWars und das finde ich wiederum cool, weil es bislang eher als defizitär gesehen wurde, eine Hand weniger als die Norm zu haben. Geändert hat sich für mich also insofern, dass ich nun für dieselbe Sache bewundert werde, die vorher Berührungsängste ausgelöst hat.
WE: Wie funktioniert die Prothese?
Greta: Ich ziehe die Prothese an wie einen Handschuh und kann dann durch externe Elektroden an meinem Unterarm die Finger ansteuern. Mein Orthopädie Mechaniker hat mir erzählt, dass es diese Technik schon seit einigen Jahrzehnten gibt, nämlich dass diese Elektroden ein Muskelsignal auf meiner Haut messen können und dieses weiterleiten. Am Arm trage ich einen Akku, den man ganz normal am Ladekabel auflädt und dieser sorgt für den Strom, den es braucht, um die Motoren in den Fingern zu beanspruchen. Ich finds immer noch total faszinierend, was da schon alles möglich ist. Das führt nämlich dazu, dass ich mir eine Bewegung überlege, den Muskelimpuls gebe und die Prothese diesen dann ausführt.
WE: Was genau tut oder „erleichtert“ sie für Dich? Trägst Du sie dauerhaft?
Greta: Vor allem ist es die soziale Wahrnehmung für das Thema Behinderung, die sie komplett verändert hat und das wäre schon bereichernd genug. Aber vor allem beim Fotografieren und auch bei so einfachen Greiftätigkeiten entlastet sie die linke Hand enorm. Im Alltag und v.a. jetzt im Homeoffice trage ich sie sehr selten im Alltag.
Aber wenn ich dann mal einen Nagel in die Wand hauen muss, hol ich sie aus dem Koffer. Ich sehe die Prothese eher als nützliches Gadget und bin nicht darauf angewiesen. Das ist natürlich auch gut so. Aber es ist auch gut, jederzeit die Möglichkeit zu haben sie zu tragen. So wie bei einem Kleidungsstück, was man sehr gerne mag.
Apropos Kleidung: Die Modewelt wird übrigens auch immer inklusiver, sodass ich sie bei Fotoshootings immer öfter trage. Ich denke sogar, dass der Trend in die Richtung geht, nicht mehr nur „schön“ sein zu müssen, sondern Wiedererkennungswert zu haben. Dafür ist die Prothese halt perfekt.
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Studium in Würzburg
WE: Seit Herbst studierst Du Psychologie in Würzburg. Warum gerade Psychologie?
Greta: Insgesamt sind es ja die Menschen, die mich so sehr faszinieren. Auch beim Reisen. Und dann war es für mich die beste Entscheidung, einen Studiengang auszuwählen, bei dem ich mich täglich damit beschäftigen kann. Was genau ich später damit machen werde, weiß ich aber noch nicht. Als Kind wollte ich eigentlich mal „Kartenabreißerin“ im Kino werden, weil ich dachte, dass ich alle Menschen ziemlich cool finde, die das machen. Das hat wohl leider nicht geklappt. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.
WE: Wieso fiel Deine Wahl auf unser schönes Würzburg? Was verbindet Dich mit der Stadt?
Greta: Für mich hat Würzburg eine super Größe und ist so schön von Natur umgeben. Also man ist schnell im Zentrum und hat es dennoch nie weit zum nächsten Weinberg. Das bin ich ja vom platten Land in Bremen gar nicht gewohnt. Und es ist halt eine Universitätsstadt, mit vielen jungen Menschen, das finde ich auch sehr cool!
WE: Was machst Du als Erstes in Würzburg, wenn die Pandemie es wieder zulässt?
Greta: Ich persönlich fühle mich von der Pandemie-Situation gar nicht so eingeschränkt. Dadurch, dass mein Studium momentan komplett online stattfindet, kann ich von überall studieren und beispielsweise meine Eltern öfter sehen. An Partys über Zoom habe ich mich mittlerweile zwar auch fast gewöhnt, aber natürlich freue ich mich darauf, die Würzburger Clubszene zu erleben und Freizeitangebote wahrnehmen zu können, wie öffentliche Schwimmbäder, Fußballvereine und Boulderhallen.
Am allermeisten freue ich mich darauf, wieder reisen und v.a. trampen zu können, aber auch da tat es mir vielleicht sogar gut, mal richtig anzukommen und mir mehr Zeit an einem spezifischen Ort zu nehmen. Dafür ist Würzburg natürlich klasse! Und bis das alles wieder geht, werde ich weiterhin die Zeit in meiner WG verbringen, ganz viel kochen, kreativ sein, Individualsport machen und das Leben mit wenigen aber sehr inspirierenden Menschen genießen. Mir ist aber auch bewusst, dass ich durch meine finanzielle Absicherung eine sehr privilegierte Einstellung habe und hoffe für alle Menschen, die stärker von Corona betroffen sind, dass sich die Pandemie-Situation bald verbessert.
Unsere Rubrik „Wir fragen…“
In unserer Rubrik „Wir fragen…“ stellen wir Würzburger Persönlichkeiten aus den verschiedensten Lebensbereichen vor und fragen sie nach ihren Erfahrungen. Wen wolltet ihr schon immer mal etwas Bestimmtes fragen? Schreibt uns per Mail an redaktion@wuerzburgerleben.de oder kommentiert unter unserem Facebook-Posting!