„Twitcherin“ als Traumberuf – klingt komisch? Ist aber möglich! Anders als seine Mitmenschen zu sein kann sich für viele als Herausforderung darstellen. Doch Angelika „Lika“ aus Würzburg hat sich nicht unterkriegen lassen und genau das zu ihrem Vorteil genutzt. Durch ihre sehr offene, temperamentvolle und positive Art waren „normale“ Jobs nie das richtige für Lika. Sie brauchte etwas, womit sie andere Leute entertainen und begeistern kann. Neben der Musik hat sie vor allem ein neues Hobby entdeckt – Twitch!
Auf dem derzeit sehr beliebten Live-Streaming-Videoportal kann Lika als „SmallCurlyFry“ so sein, wie sie ist und ihre positive Art vollkommen ausleben – und das mit Erfolg, denn die Menge an Fans wächst von Tag zu Tag. Doch kann man mit Twitch wirklich Geld verdienen und reicht dieses dann auch zum Leben aus? Und wie kam Lika überhaupt dazu, damit anzufangen? Dies und viele weitere Fragen hat Lika aka SmallCurlyFry uns in einem Interview beantwortet.
Offen und viel Temperament
Würzburg erleben (WE): Erzähl doch mal etwas über Dich: Wer bist Du? Was machst Du? Was verbindet Dich mit Würzburg?
Lika: Ich heiße Angelika, aber seit ich 22 bin, nennen mich die meisten nur Lika. Es ist mein Spitzname und eigentlich der Name, den ich benutze, wenn ich irgendwo als Künstlerin auftrete. Ich bin vor 30 Jahren in Würzburg geboren, hatte schon immer das Gefühl, dass ich anders bin als andere. Was anfangs oft ein Grund war, mich als Außenseiterin, als nervig oder „zu viel“ abzustempeln, ist jetzt genau das, was mich auf die Bühne zieht. Ich besitze eine sehr offene Art und viel Temperament, schon als Kind hatte ich Spaß daran, andere Mitschüler zu entertainen. Als Jugendliche war das dann natürlich meistens uncool. Bis irgendwann Menschen um mich herum meine Stimme lobten. Mit 14 hatte ich meinen ersten Gesangsunterricht.
Getanzt habe ich schon, seitdem ich laufen kann. Ich habe schon immer zu viel Energie besessen und die Musik und andere Menschen zu unterhalten, war mein Ventil. Mit 19 bin ich dann meinem Herzen gefolgt und nach München gezogen, um dort eine Musicalausbildung anzufangen. Gesang, Tanz, Schauspiel. Die Ausbildung war hart. Kritik die Tagesordnung. Nach den drei Jahren musste ich mich Stück für Stück neu zusammensetzen. Ich hatte ein bisschen den Spaß daran verloren, andere Menschen zu entertainen. Der ständige Druck, besser zu werden, besser zu sein, hat mir die Leidenschaft zur Kunst genommen.
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„Ich will überhaupt keinen normalen Beruf“
Ich zog nach vier Jahren von München nach Würzburg, um dort Soziale Arbeit mit dem Schwerpunkt Musiktherapie zu studieren. Ich schloss das Studium ab und hatte trotzdem währenddessen hier und da Jobs auf Bühnen und vor der Kamera. Ohne den Druck, davon leben zu müssen. Meine Intention war, einen normalen Job zu haben und ein normales Leben zu führen. Doch schon während meines Praktikums im Studium merkte ich, dass mir was fehlte. Nach dem Studium konnte ich es nicht mehr aushalten und fing wieder an, auf Auditions zu gehen. Ich bekam gleich einen Job in Halle (Saale), wo ich zwei Spielzeiten in einem Familienmusical mitspielte. Ich lernte dort Menschen kennen, die so waren wie ich. Ich lernte meine beste Freundin kennen.
Als Corona mich dann hart traf und ich nach Würzburg zurückzog, versuchte ich im sozialen Bereich wieder Fuß zu fassen. Bekam aber keinen Job, egal wie viele Bewerbungen ich rausschickte. Das war der Zeitpunkt, an dem ich wusste, ich will überhaupt keinen normalen Beruf. Keiner sah und sieht mich in einem normalen Beruf. Ich hatte mein ganzes Leben lang mich versucht anzupassen, und endlich war der Zeitpunkt gekommen, wo ich mich akzeptierte, wie ich bin. Dann fing ich mit Twitch an.
Twitch als Bühne
WE: Wie bist Du dazu gekommen, einen eigenen Twitch Kanal zu starten? Hattest Du eine spezielle Intention?
Lika: Ich hatte das Bedürfnis, wieder auf die Bühne zu gehen und ich holte mir einfach die Bühne nach Hause. Aber einfach war es nicht so ganz. Mit meinen 30 Jahren gehöre ich auf Twitch schon zur älteren Generation, auch wenn ich jünger aussehe und mich jünger fühle. Nach zwei Wochen stand das Set-up und vor dem ersten Mal online gehen hatte ich unglaubliche Angst. Als ich es dann tat, ging alles von allein. Es kamen so unglaublich viele nette tolle Menschen auf meinen Kanal. Ich lernte meinen besten Freund über Twitch kennen, der mein Mentor wurde. Ich habe so viele tolle Freunde seitdem dazugewonnen. Auf Twitch habe ich meine zweite Familie gefunden. Einsamkeit während Corona? Null.

Twitch-Kanal von SmallCurlyFry. Foto: SmallCurlyFry.
WE: Für alle, die Twitch noch nicht kennen – kannst Du beschreiben, was das ist?
Lika: Am Anfang wollte ich eigentlich Games zocken. Ich dachte, Twitch wäre eine reine gamingorientierte Plattform. Aber das stimmt nicht. Die beliebteste Kategorie ist „Just Chatting“. Man sitzt vor der Kamera und unterhält sich mit Menschen über bestimmte Themen. Die „Viewer“ also Zuschauer, können dir Fragen stellen oder mit dir über bestimmte Dinge schreiben. Du gehst auf ihre Nachrichten ein. Sie sehen dich und hören dich sprechen. Aber du kannst nur ihre Nachrichten lesen. Du bist manchmal die beste Freundin die tröstet, du bist manchmal der beste Freund mit den coolen witzigen Sprüchen, manchmal aber auch wirklich eine Sozialarbeiterin. Mit meinen 30 Jahren habe ich auch schon einige Geschichten oder Anekdoten zu erzählen. Vor allem weil mein Leben nicht klassisch verläuft. Das Wissen aus meinem Studium kommt mir natürlich auch oft gelegen.
„Just Chatting“ ist nicht das Einzige. Twitch ist unglaublich breitgefächert. Grob kann man sagen, du hast einen Kanal auf dem du deinen Content zeigst, wie ein TV-Sender und du bestimmst, was die Leute sehen. Alles ist komplett live. Der Unterschied zum TV ist, das die Leute direkt Einfluss nehmen auf den Content. Mitbestimmen, kommentieren, den Content einfärben. Die Menschen haben das Gefühl, sie sind mittendrin und ein Bestandteil von deinem Kanal.
Zocken, Chatten, Musizieren, Tanzen…
WE: Welche Art von Videos kann man auf Deinem Twitch Kanal finden?
Lika: Neben dem „Just Chatting“ nutze ich den Kanal auch, um Menschen mit meiner Musik zu unterhalten. Ich schreibe selber Songs mit meiner Ukulele und auf Twitch habe ich auch gleich ein Publikum, vor dem ich die Songs vortragen kann. Goldwert in Corona-Zeiten. Ansonsten cover ich Songs und spiele Liedwünsche vor, soweit ich die Songs kann. Auf meinem Twitch Kanal findet man auch Tanzstreams, Streams in denen ich Kartenlege (Tarot) oder Communitygames, bei denen alle mitspielen können. Seit Neuestem mache ich alle zwei Wochen einen Fashion-Haul. Sowas kennt man von Youtube, nur dass es bei mir live ist. Die Viewer dürfen mit mir zusammen Outfits aus dem Internet bestellen, diese Outfits werden dann Live vorgeführt und es darf darüber diskutiert werden. Neben dem Fashion-Aspekt gibt es zwischendurch auch viel Tanz und komödiantische Momente.
WE: Was macht Deinen Kanal so besonders und hebt diesen von anderen ab?
Lika: Seitdem ich auf Twitch streame, hat sich meine positive Energie verdoppelt. Ich war immer schon ein positiver Mensch, der voller Energie ist, aber auf Twitch kann ich endlich so sein, wie ich wirklich bin. Die Menschen verurteilen mich nicht, wenn ich mal „zu viel“ bin, nein, sie lieben es sogar. Ich bekomme unglaublich viele Rückmeldungen, dass ich mit meiner positiven Laune anstecke. Die Menschen kommen auf meinen Kanal und schreiben, dass sie für kurze Zeit ihren harten Alltag oder Corona vergessen. Sie sind glücklich. Das war immer mein Ziel mit der Kunst, andere Menschen glücklich zu machen. Ohne Druck, ohne Perfektionismus, einfach nur glücklich.
Was meinen Kanal besonders macht? Die positive Energie, die ich verschenke, egal was bei mir gerade für ein Content läuft.

Auch Modeln gehört zu Likas Hobbys. Foto: @telesaft (IG).
Twitch als Traumberuf
WE: Ist das mehr ein Hobby für Dich oder willst Du mit dem Streamen auf Twitch auch einmal Geld verdienen?
Lika: Ich streame jetzt seit sechs Monaten. Seit dem zweiten Monat verdiene ich damit Geld. Durch sogenannte Subs (Abonnements) und Donation (Spenden). Ich werde davon nicht reich. Ehrlich gesagt reicht es gerade mal so, um über die Runden zu kommen. Ich hatte vor Corona etwas zur Seite gelegt, sodass ich mir vorerst keine Sorgen machen musste. Seitdem es bei mir gut läuft, habe ich auch aufgehört nach einem normalen Job zu suchen. Ich habe in Twitch meinen Traumberuf gefunden. Ich bin jetzt selbstständig und arbeite tatsächlich gefühlt 60 h die Woche mit einem Verdienst, der für andere lachhaft wäre. Als Künstlerin bin ich es aber gewohnt, schlecht bezahlt zu werden. Aber wenn wir ehrlich sind, bin ich nicht Künstlerin geworden um reich zu werden, sondern um glücklich zu sein.
Glücklicherweise wurde ich in der Künstlersozialkasse aufgenommen. Dies macht es mir finanziell etwas leichter. Neben Twitch habe ich natürlich noch andere Projekte und Jobs. Ich arbeite ab und zu als Fotomodel, Schauspielerin oder trete (hoffentlich so bald wie möglich) wieder als Sängerin auf. Demnächst werde ich auch meine ganzen Songs professionell aufnehmen und produzieren lassen. Leider hat es bei „Show your Talent“ einer Castingshow auf Twitch nur für den dritten Platz gereicht. Aber die Nachfrage nach meinen Songs ist seitdem gestiegen, sodass ich es jetzt einfach selbst in die Hand nehme.
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WE: Was gefällt Dir beim Streamen auf Twitch am besten?
Lika: Ich bin mit meinem jetzigen Leben total glücklich. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal etwas finde, was mir so viel gibt. Ich kann selber entscheiden wann ich arbeite, was ich für Content bringe und mit wem ich zusammenarbeite. Es ist die Freiheit, die ich genieße, meine Kunst so zu verpacken wie ich es will. So sein zu dürfen wie ich bin, mich nicht ständig verstellen zu müssen und mich der Gesellschaft anpassen zu müssen. Es sind die Zuschauer, die mich bewerten. Es ist meine Community, die mich bewertet und die hat unglaublich viel Liebe zu verschenken. Natürlich sind ab und zu „Trolls“ unterwegs oder Menschen, die mich nicht für voll nehmen und mich negativ kritisieren. Damit richtig umzugehen ist ein Lernprozess. Am Anfang hatte ich manchmal Probleme damit, aber mittlerweile komme ich ganz gut zurecht.
Ein weiterer Punkt, der mich so Twitch verliebt macht, sind die Menschen die ich kennenlernen durfte. So viele Freundschaften sind in den letzten Monaten entstanden. Zu Menschen, die ich sonst nie kennengelernt hätte. Zu meiner Community, aber auch zu anderen Streamern. Wir sind wirklich wie eine kleine Familie. Ab und zu verlaufen sich auch Prominente auf meinen Kanal. Das ist natürlich ein zusätzlicher kleiner Kick.
Curly von innen und außen
WE: Wie kamst Du auf den Namen „SmallCurlyFry“?
Lika: Den Namen habe ich von einem Freund, er hat mich immer Curly Fry genannt, wegen meiner lockigen Haare. Als ich mich bei Twitch angemeldet habe, wusste ich noch nicht, wie wichtig die Wahl meines Namens werden könnte. Das „Small“ kam daher, dass CurlyFry leider schon vergeben war. Am Anfang war ich mir unsicher wegen des Namens, mittlerweile liebe ich ihn. Ich finde, er passt auch perfekt zu mir. Curly von innen und außen.
WE: Du bist sehr vielseitig interessiert: Neben Twitch bist Du auch noch Tänzerin, Model – und was noch? Was macht Dir am meisten Spaß?
Lika: Ja, das stimmt. Ich habe unglaublich viele Hobbys. Es ist manchmal schwierig alles unter einen Hut zu bekommen. Ich singe und schreibe selber Songs. Ich tanze außerdem seit einem Jahr bei den „s.Oliver Würzburg Dancers“ mit. Auch wenn Corona nur virtuelles Training zulässt. Sport ist überhaupt sehr wichtig für mich. Letztes Jahr habe ich das Longboard fahren entdeckt. Abends tanze ich manchmal nur für mich selbst zu Musik. Ab und zu brauche ich auch Zeit für mich allein, deswegen suche ich mir meistens Hobbys, die man auch alleine machen kann. Ich habe das Talent, alleine Dinge tun zu können, die mich unglaublich glücklich machen. Und wenn mir jemand sagt, ich bin zu alt für ein Hobby, oder um irgendetwas zu erreichen, dann mach ich es erst recht!

Lika aka. SmallCurlyFry mit ihrer Ukulele. Foto: @lukas_s._photography (IG).
WE: Was machst Du sonst außerhalb vom Streamen und Deiner weiteren Hobbys noch? Hast Du eine Ausbildung, einen Hochschulabschluss oder ähnliches?
Lika: Ich habe ab und zu Fotoshootings und diverse andere Projekte. Manchmal bezahlt, manchmal auf TFP Basis. Darunter zählen Musikvideos, Imagefilme und kleinere Rollen in Filmen.
Wie bereits erwähnt besitze ich eine Musicalausbildung und einen Bachelor in Sozialer Arbeit mit Schwerpunkt Musiktherapie.
Bis März habe ich zudem in einem Flüchtlingswohnheim für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ausgeholfen.
„Ich habe meinen Platz in der Welt gefunden“
WE: Welche fünf Adjektive beschreiben Dich am besten?
Lika: Begeisterungsfähig, quirlig, positiv, temperamentvoll, Träumerin (ist jetzt leider kein Adjektiv haha)
WE: Was sind Deine Pläne und Ziele für die Zukunft?
Lika: Weiterhin Menschen mit meinem Kanal zu erreichen und Sie glücklich zu machen. Weiterhin mit so viel Spaß und Motivation an Twitch dranzubleiben und mich weiterzuentwickeln. Meine ersten eigenen Songs zu releasen und vielleicht etwas mehr finanzielle Sicherheit wäre auch nicht schlecht. Aber letztendlich ist für mich der Weg das Ziel. Und der Weg auf dem ich mich befinde, macht unglaublich viel Spaß.
Ich kann sagen, ich habe meinen Platz in der Welt gefunden.