Experte erklärt: wie sicher ist es 2018 auf dem Weihnachtsmarkt?
Endlich ist es wieder so weit! Wir starten in die Weihnachtszeit und damit kann sich auf Weihnachtsmarkt-Besuche freuen. Lauschige Stimmung, glitzernde Innenstädte, duftender Punsch und gebrannte Mandeln – die meisten freuen sich auf diese besondere Zeit im Jahr, die in Würzburg am 30.11. startet. Doch besonders nach dem Anschlag in Berlin im Jahr 2016, als Anis Amri einen Lkw in eine Menschenmenge am Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche lenkte und dabei zwölf Menschen tötete, schleicht sich auch in kleineren Städten manchmal ein ungutes Gefühl ein. Wie sicher ist es auf einem Weihnachtsmarkt im Jahr 2018? Dr. Daniel Brunsch ist als Spezialist für Kommunikationsprozesse bei Großveranstaltungen Experte für diese Fragen und hat sie uns auch beantwortet:
Würzburg erleben (WE): Sind die aktuellen Sicherheitsvorkehrungen und Regelungen für Veranstaltungen, wie einem Weihnachtsmarkt, sicher und wie hoch ist das Restrisiko, Opfer von Gewalt und Verbrechen zu werden?
Dr. Brunsch: Wie auch der Präsident des Bundesverbandes der Veranstaltungswirtschaft, Jens Michow, nicht müde wird es zu sagen: „Spätestens der Anschlag auf das Bataclan [in Paris 2015] hat dazu geführt, dass auch in Deutschland nochmals deutlich aufgerüstet wurde. Eine hundertprozentige Sicherheit kann es [aber] bei keiner Großveranstaltung geben.“ Von Betonpollern über mehr Sicherheitspersonal bis hin zu einer verbesserten Publikumskommunikation investieren die Veranstaltenden mittlerweile jedoch ein Vielfaches von dem, was noch vor ein paar Jahren der Standard war. Ein Restrisiko besteht aber natürlich dennoch. Dieses hängt aber auch stark vom Verhalten der Besuchenden ab – trage ich meine Wertsachen offen oder nah am Körper, gehe ich allein oder in einer Gruppe auf das Event, betrinke ich mich bis zum Blackout oder bleibe ich nüchtern?
WE: Welche Rolle spielt die Ausarbeitung eines Sicherheitskonzeptes bei der Planung einer Veranstaltung für die Polizei/Veranstalter?
Dr. Brunsch: Von Jahr zu Jahr eine immer größere Rolle. Das Sicherheitskonzept gehört mittlerweile auch für kleinere Veranstaltungen oft zu den Grundlagen, um das Event genehmigt zu bekommen.
WE: Muss ich mich vorbereiten, wenn ich den Weihnachtsmarkt (vor allem in größeren Städten) besuche und wenn “Ja” – wieso? Welche Risiken erwarten mich?
Dr. Brunsch: Ich sag’s mal so: Es ist auf jeden Fall sinnvoll sich auf den Besuch einer Großveranstaltung vorzubereiten. Allerdings zeigt unsere Studie unter Festivalgästen auch, dass knapp 60% der Menschen sich nur manchmal bis nie mit den Sicherheitshinweisen zu einer Veranstaltung befassen. Eine Umfrage unter Veranstaltenden brachte darüber hinaus ans Licht, dass sich ihre Gäste meist erst dann mit Sicherheitsmaßnahmen befassen, wenn ihre eigene Sicherheit akut bedroht ist. Das ist auch nachvollziehbar.
Mich interessieren die Gründe eine Veranstaltung zu besuchen (z.B. was gibt es tolles zu essen, welche Bands spielen) auch mehr als mögliche aber unwahrscheinliche Gefahren (z.B. wie verhalte ich mich im Fall eines Sturms). Die konkreten Risiken einer Veranstaltung hängen dabei stark vom Veranstaltungstyp ab. Auf Weihnachtsmärkten besteht zum Beispiel ein erhöhtes Risiko von Anschlägen. Viel wahrscheinlicher wird man hier jedoch Opfer von Diebstählen und Lebensmittelvergiftungen werden.
WE: Sollte man große Menschenansammlungen wie den Weihnachtsmarkt sogar lieber ganz meiden?
Dr. Brunsch: Nein, dazu besteht nach aktuellen Erkenntnissen keine Veranlassung.
WE: Was könnte die Polizei oder der Veranstalter tun, damit das Sicherheitsgefühl der Besucher steigt?
Dr. Brunsch: Viele der Sicherheitsmaßnahmen von Veranstaltenden und Polizei sind für die Augen der Gäste nicht zu erkennen. Es ist daher wichtig seinen Gästen das Gefühl zu geben, dass man sich um sie kümmert und aufpasst. Das findet in den letzten zwei Jahren zunehmend über die persönliche Kommunikation mit den Gästen statt. Professionelle Sicherheitssprecher/innen begrüßen die Gäste und teilen ihnen mit, über welchen Kanal sie im Bedarfsfall alles Wichtige erfahren. Das können Kanäle wie Lautsprecherdurchsagen, Bühnenansagen, LED-Screens usw. sein.
WE: Was mache ich, wenn ich mich im Mittelpunkt eines Anschlags befinde? Wie verhalte ich mich bei einer Massenpanik?
Dr. Brunsch: Für den unwahrscheinlichen Fall eines Anschlags ist es gut zu wissen, dass die im Volksmund als „Massenpanik“ bezeichnete Reaktion von Massenteilnehmenden nur äußerst selten vorkommt. Viel wahrscheinlicher ist eine gerichtete Fluchtreaktion, bei der wir versuchen so schnell wie möglich einen Ausgang zu erreichen (s. dazu unten die Massenreaktion des New Yorker „Global Citizen Festivals“ im September diesen Jahres). Da wir dann aber nicht allein sind, macht es Sinn während der Flucht darauf zu achten, in der Mitte der Menge zu bleiben und harte Hindernisse am Rand zu meiden.
Um noch schneller vom Gelände zu kommen empfiehlt es sich, nicht wie sonst nur die nächstgelegenen Toiletten, sondern auch den nächsten Notausgang ausfindig zu machen. Und jetzt der Life-Hack: Die meisten Menschen betreten und verlassen Orte im Allgemeinen über die gleichen Zugänge. Bei den Notausgängen ist daher entsprechend weniger los.
Interessant ist auch, dass Menschen trotz einer solchen Situation oft dennoch ansprechbar bleiben. Veranstaltende sollten also in jedem Fall versuchen die Kommunikation mit ihren Gästen aufrecht zu erhalten.
WE: Wäre es sinnvoll, noch mehr Überwachungskameras, Polizisten und Einlasskontrollen bei öffentlichen Veranstaltungen einzusetzen?
Dr. Brunsch: Nicht unbedingt. Lediglich mehr von den bekannten Maßnahmen einzusetzen macht eine Veranstaltung noch nicht sicherer. Nach dem Anschlag in Berlin wurden zum Beispiel überall Betonelemente eingesetzt, dass dadurch auch die Fluchtwege verbaut werden und Personen so weniger schnell vor einem möglichen Schützen oder Brand fliehen können, wurde dabei meist nicht bedacht. Angemessene und vielfältige Sicherheitsvorkehrungen tragen hier viel eher zu erhöhtem Schutz bei.
WE: Was kann man selbst dazu beitragen, den Weihnachtsmarkt sicherer zu machen?
Dr. Brunsch: Haha, nicht zu den 60% zu gehören, die sich nur unzureichend über die Sicherheit vor Ort Gedanken machen, ist schon mal ein guter Anfang. Dazu kommt, dass wir ganz im Sinne der weihnachtlichen Traditionen mehr aufeinander achten sollten – sei es um 1) Kindern und Rollstuhlfahrenden dabei zu helfen vom Gelände zu kommen, 2) darauf zu achten, ob wir bei anderen verdächtiges Verhalten feststellen oder 3) den Weisungen der Sicherheitssprecher und Polizisten Folge zu leisten. Aber alles im Rahmen – unsere Events sollen ja vor allem eines: weiterhin Spaß machen.
WE: Sind Großveranstaltungen unsicherer als vor 20 Jahren? Wenn “Ja” wieso?
Dr. Brunsch: Das Oktoberfest-Attentat vor 38 Jahren, die Loveparade-Katastrophe vor 8 Jahren und der Weihnachtsmarkt-Anschlag vor 2 Jahren zeigen, dass jede Zeit ihre spezifischen Herausforderungen bereithält. Aktuell beschäftigen sich die Sicherheitsverantwortlichen auf Veranstaltungen besonders mit dem unbeständigen Wetter und dem gestiegenen Risiko terroristischer Anschläge. Wichtig bleibt es zu erwähnen, dass nach dem diesjährigen Bericht des Bundesverfassungsschutzes eine unverändert hohe Risikolage in Deutschland herrscht. Das heißt, dass wir weiterhin aufmerksam aber auch fröhlich bleiben sollten. In diesem Sinne wünsche ich uns allen eine frohe und unbeschwerte Adventszeit.
Über Dr. Daniel Brunsch

Dr. Daniel Brunsch ist ein Spezialist für Kommunikationsprozesse bei Großveranstaltungen. Foto: Daniel Brunsch
Dr. Daniel Brunsch ist ein Spezialist für Kommunikationsprozesse bei Großveranstaltungen. Er entwickelte u.a. ein Kommunikationstraining für die Landespolizei Rheinland-Pfalz, die Stadtpolizei Zürich und internationale Kommunikationsrichtlinien für die Polizei in Europa (EU-Projekt: GODIAC). Aufgrund des gestiegenen Bedarfs an professionellen Besucherinformationskonzepten in Zeiten erhöhter Veranstaltungsrisiken, gründete er 2017 die „Guardian Angels“ (ein wissenschaftliches Praxisprojekt zur Professionalisierung der Kommunikation zwischen Veranstaltenden und Besuchenden). Bereits im ersten Jahr des Projektes wurde das Konzept bei zehn Veranstaltungen (Rock am Ring, Lollapalooza, Kölner Rosenmontagszug u.a.) angewendet und in über 50 Presseartikeln und Fachvorträgen vorgestellt. Darüber hinaus lehrt und forscht Herr Brunsch an der Universität zu Köln und der Fresenius Hochschule in Köln zu den Themen Massenkommunikation und Krisenkommunikation.