Banner
Würzburg - Foto: Pascal Höfig
Symbolbild Würzburg

Die Wiedervereinigung – Prozess „höchster Staatskunst“

Podiumsdiskussion im Ratssaal

Seit 25 Jahren kann es jetzt heißen: „Deutschland einig Vaterland!“ Deswegen hatten die Stadt Würzburg, unter der Schirmherrschaft von Oberbürgermeister Christian Schuchardt, und der Lehrstuhl für Neueste Geschichte II der Julius-Maximilians-Universität ca. 200 Bürgerinnen und Bürger aus Würzburg und deren Partnerstadt Suhl zu einer Podiumsdiskussion eingeladen. Die große Schar Interessierter erfuhr weithin Unbekanntes und oft Überraschendes über die deutsche Wiedervereinigung.

Für gewöhnlich bestimmen heute die Fernsehbilder von knallenden Sektkorken, tanzenden Menschen auf der Mauer vor dem Brandenburger Tor und eine endlose heranrollende Trabi-Kolonne die Erinnerung vieler Menschen, gerade in Westdeutschland. Was allerdings hinter den Kulissen geschah, wie langwierig der Weg zu diesem Epochenereignis war, welche enormen Widerstände es nicht nur auf beiden Seiten der Grenze, sondern auch international zu überwinden galt, wie kontrovers noch heute die Auswirkungen und Folgen des Wiedervereinigungsprozesses gesehen werden, wird von glänzenden Medienbildern meist überstrahlt.

„Einheit als Geschenk und Auftrag zugleich“

Die hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion, an der der ehemalige Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag und Postminister a.D. Dr. Wolfgang Bötsch, Professor Dr. Horst Teltschik, der damalige außen- und deutschlandpolitische Berater Helmut Kohls, die Suhler Bürgerrechtlerin Brigitta Wurschi und die Historiker Dr. Ralf Georg Reuth, Prof. Dr. Andreas Rödder und Prof. Dr. Michael Wolffsohn teilnahmen, blickte hinter die Fassade von Ostalgie und Jubelstimmung und legte tiefgehende Kontroversen offen. Die vielen Detailinformationen zu den komplexen Vorgängen, die Schritt für Schritt und mühsam zur Wiedervereinigung führten, ordnete und moderierte fachkundig der Würzburger Professor für Neueste Geschichte Prof. Dr. Peter Hoeres.

In seinem Grußwort mahnte Würzburgs Oberbürgermeister Schuchardt, dass die Einheit für Deutschland „Geschenk und Auftrag zugleich“ sei. Gerade in diesen Tagen, sei dafür zu sorgen, „dass das vereinte Deutschland ein weltoffenes und menschenfreundliches Land“ bleibe und die durch die Wiedervereinigung gewonnene Kraft jetzt mobilisiert werden müsse, „um die durchaus vergleichbare Herausforderung, Hunderttausende von Migranten zu integrieren, erfolgreich zu meistern“. Das sei aktuell, so der Oberbürgermeister, sein „größter Wunsch zum 25. Geburtstag unseres wiedervereinigten Landes“.

Rectangle
topmobile2

„An Wiedervereinigung dachte 1989 noch niemand“

Dass das „Geschenk der Wiedervereinigung“ keinesfalls selbstverständlich war, zeigte die sich anschließende Diskussion. Vor allem die Insiderberichte über Meinungsverschiedenheiten und über die weitgehend unveröffentlichten, schwierigen Aushandlungsprozesse fesselten das Publikum sogar über zweieinhalb Stunden. So schilderte die Bürgerrechtlerin Brigitta Wurschi eindrucksvoll wie innerlich gespalten selbst die Bürgerbewegung Neues Forum war.

Die Hoffnung auf freie Wahlen, Reisefreiheit und Demokratisierung versuchte man zunächst durch eine Veränderung im Rahmen des Status quo, einer eigenstaatlichen DDR, zu erreichen. An Wiedervereinigung dachte in Teilen der Bürgerbewegung selbst im November 1989 noch niemand, bekräftigte der Historiker Ralf Georg Reuth und Wurschi ergänzte, dass der Ruf „Wir sind ein Volk“ sich zunächst primär gegen Polizei und Verwaltung im eigenen Land richtete. Andreas Rödder erinnerte daran, dass der Ruf nach dem Selbstbestimmungsrecht der Völker in der DDR zu diesem Zeitpunkt „Wiedervereinigung heißen konnte, aber nicht musste“.

Auseinandersetzungen während Wiedervereinigungsprozess

Auch innerhalb der Bundesregierung gab es große Auseinandersetzungen während des Wiedervereinigungsprozesses. In bekannter Leidenschaftlichkeit schilderte der ehemalige Chef der CSU Landesgruppe im Bundestag, Wolfgang Bötsch, lebhaft den damaligen Dissens zwischen Bundeskanzleramt und dem von Hans Dietrich Genscher geführten Außenministerium aus seiner Sicht. Der berühmte 10-Punkte-Plan, der maßgeblich aus der Feder Teltschiks stammte, wurde bekanntlich vom kleinen Parteitag der FDP abgelehnt. Teltschik selbst erzählte, man habe diese 10-Punkte Rede von Helmut Kohl vorab gar nicht Genscher zur Kenntnis gebracht, „aus Angst, er werde es als seine Idee verkaufen“. Auch gegenüber dem Ausland verheimlichte man diese historische Rede, um die „einzigartige historische Chance nicht zu verpassen“, so Teltschik.

Die „Ära der höchsten Staatskunst“

Als die „Ära der höchsten Staatskunst“ fasste der Historiker Wolffsohn die turbulenten innerdeutschen und internationalen Verhandlungen um die Einheit zusammen, was auch besonderes Verdienst des anwesenden Horst Teltschik gewesen sei. Dieser verwies eher auf eine metaphysische Ebene. Man sei dankbar, „dass wir das Glück hatten, Deutschland einigen zu können“, so Teltschik.

Die Anwesenheit von Suhler Stadträten, Bürgerinnen und Bürgern und ihrem Oberbürgermeister, Dr. Jens Triebel, bei dieser gelungenen Veranstaltung konnte für alle eigentlich das Zusammengewachsensein beider deutscher Teile sichtbar machen. Mit bewegenden Worten stimmte Jens Triebel Teltschik zu: „Die Wende sehe ich als das größte Geschenk meines Lebens“.

Dieser Artikel beruht auf einer gemeinsamen Pressemitteilung der Stadt Würzburg und der Universität Würzburg geschrieben von Maximilian-Th.-L. Rückert, M.A. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lehrstuhl für Neueste Geschichte II.

Banner 2 Topmobile